Perioperatives Management und Bridging bei antithrombotischer Therapie und oraler Antikoagulation, 05/2013
In der renommierten Fachzeitschrift NEJM erschien in der Ausgabe 22/2013 ein ausführlicher Artikel über das perioperative Management der Patienten, die unter antithrombotischer Therapie stehen. Gleichzeitig ist in der deutschen Fachzeitschrift arznei-telegramm ist eine Übersicht zum perioperativen Management bei oraler Antikoagulation erschienen (5/2013).
Wir stellen die wichtigsten Punkte der beiden Artikel mit eigenen Kommentaren und Ergänzungen vor (Medknowledge-Anmerkung: Die Informationen in dieser Übersicht sind ohne Gewähr, und können nicht Grundlage für ärztliche Entscheidungen zur Antikoagulation dienen.)
A- Werkzeuge, Scores, Einteilungen, mit deren Hilfe das Perioperative Management bei antithrombotischer Therapie vorgenommen werden kann.
a- Abschätzung vom Thromboembolie-Risiko bei Vorhofflimmern: In den NEJM-Artikel wird das CHADS2-Score empfohlen, das wir bei Medknowledge bereits vorgestellt haben.
b- Einteilung der Patienten nach dem Risiko venöser oder arterieller Thromboembolien bei Antikoagulation:
geringes Risiko:
-Mechanische Herzklappenersatz: "Bileaflet" Aortenklappenprothese ohne Vorhofflimmern, ohne frühere Schlaganfälle, oder Thromboembolien, ohne intrakardiale Thromben.
-Venöse Thromboembolien: Venöse Thromboembolien vor länger als >12 Monaten und keine weitere Venöse-Thromboembolie-Risiken
-Vorhofflimmern mit CHADS2-Score 0-2, aber ohne Schlaganfall/TIA
mittleres Risiko:
-Mechanische Herzklappenersatz: "Bileaflet" Aortenklappenprothese mit Vorhofflimmern
-Venöse Thromboembolien: Venöse Thromboembolien in den letzten 3-12 Monate, rezidivierende venöse Thromboembolien
-Vorhofflimmern mit CHADS2-Score 3-4 (außer Insult/TIA vor < Monaten).
-Fortschreitende Tumorerkankung
hohes Risiko:
-Mechanischer Herzklappenersatz: Jede Mitralklappen-Prothese, jeder Klappenersatz mit "caged-ball" oder "titling-disk"-Aortenklappen-prothese, multiple mechanische Herzklappen, Schlaganfall, TIA, oder kardiovaskuläre Embolien.
-Venöse Thromboembolien: Venöse Thromboembolien in den letzten 3 Monaten, schwere Thrombophilien, unprovozierte venöse Thromboembolien, oder aktive Krebserkrankung (Krebs-Diagnose <6 Mo., oder Patient unter Krebstherapie)
-Vorhofflimmern mit Insult/TIA vor < 3 Monaten oder mit CHADS2-Score >5
c- Abschätzung des Blutungsrisikos
Wir hatten 2010 in einem Artikel über Perioperatives Arzneimittelmanagement eine kleine Übersicht (7) über Blutungsrisiko der jeweils geplanten Operation vorgestellt, wonach die Eingriffe nach geringem, mittlerem und hohem Blutungsrisiko gegliedert sind. Neben dieser Übersicht stellten wir 2011 ein einfaches neues Score-System zur Blutungsrisiko-Vorhersage für "Marcumar"-assoziierte Blutungen bei Patienten mit Vorhofflimmern vor. Beide Artikel bieten eine erste Hilfestellung zur Abschätzung des Blutungsrisikos zum einen nach dem geplanten Eingriff und zum anderen nach dem individuellen Blutungsrisiko.
B- Vorgehen nach Thromboembolie-Risiko
- Geringes Thromboembolie-Risiko: In der Regel eine kurzfristige Pause oder Dosisreduktion der Antikoagulation ohne Bridging erlaubt. INR kann <1.5 liegen, hierfür wird der Marcumar gewöhnlich für 5-7 Tage pausiert. Nach komplikationslosem Eingriff kann die Cumarintherapie (~Marcumar) wieder in alter Dosierung weiter geführt werden. Bei Eingriffen mit niedrigem Blutungsrisiko muss die Antikoagulation nicht unbedingt unterbrochen werden.
- Mittleres Thromboembolie-Risiko: Nicht mehr automatisch Bridging, individuelles Vorgehen vor allem im Hinblick auf individuelles Blutungsrisiko:
- a: Bei hohem Blutungsrisiko> eher Antikoagulation-Pause ohne Bridging (INR <1.5 während des Eingriffs).
- b: Bei niedrigem Blutungsrisiko> Bridging Erwägen, ggf. in halbtherapeutische Dosierung der Heparine).
- Hohes Thromboembolie-Risiko:
- a: Bei niedrigem Blutungsrisiko> Marcumar ggf. 2-4 Tage pausieren mit dem Ziel INR knapp >2. Oft können bei Eingriffen mit niedrigem Blutungsrisiko wie Haut- oder Zahn-Eingriffe kann Antikoagulation weiter geführt werden, wenn die Blutstillung lokal durchgeführt werden kann.
- b: Bei hohem Blutungsrisiko: Bridging, z.B. auch ambulant mit fraktionierten Heparinen (wie Clexane s.c.) in therapeutischen aber auch ggf. als Option in halbtherapeutischen Dosierungen.
C- Bridging-Verfahren
Für die Bridging-Empfehlungen lehnen wir uns an die Studie in Cleveland Clinic Journal of Medicine, die ausführliche Empfehlungen zu Bridging gibt (3). Die Empfehlungen richten sich an den Vitamin-K-Antagonist Warfarin, in Deutschland wird dafür Phenprocoumon (Marcumar) gegeben, sodass wir einfachheitshalber Marcumar schreiben.
Vor der Operation/Eingriff:
- Marcumar-Stopp 5 Tage vor der Operation wenn INR zwischen 2 und 3, und 6 Tage vor der OP, wenn INR zwischen 3 bis 4.5.
- Für Bridging-Therapie Beginn der therapeutischen Antikoagulation mit fraktionierten niedrigmolekularen Heparinen (in Deutschland häufig Clexane gewichtsadaptiert zweimal am Tag) nach 36 Stunden nach der letzten Marcumar-Dosis (praktisch am 2-3 Tag).
- Letzte Dosis der fraktionierten Heparine 24 Stunden vor der OP verabreichen.
Nach der Operation
- Für kleine Eingriffe Wiedereinführung der fraktionierten Heparine in voller Dosis 24 Stunden nach der OP. Für große Operationen und für Patienten mit hohem Blutungsrisiko prophylaktische Dosen in den ersten postoperativen Tagen in Erwägung ziehen (praktisch in halber Dosierung). // {Bei Niereninsuffienz Dosis der fraktionierten Heparine anpassen; bei schwerer Niereninsuffienz unfraktionierte Heparine iv mit dem PTT-Zielwert auf 1.5-2 der oberen Norm ( 2)}
- Mit den Chirurgen Zeitpunkt der Antikoagulation-Wiedereinführung besprechen
- Re-Start mit Marcumar auf präoperativen Dosen 1 Tag nach OP.
- Täglich INR-Messungen bis zur Entlassung, und in Intervallen nach der Entlassung.
D- Neue Antikoagulanzien:
Für die neuen Antikoagulanzien (4; in Deutschland Xarelto, Pradaxa und Eliquis) gäbe es zwar spezielle Empfehlungen, jedoch noch nicht ausreichend Erfahrungen aus der Praxis. Wir verweisen auf den Ärzteblatt-Artikel " Neue direkte Orale Antikoagulanzien: Was im Notfall zu beachten ist " von 2012 (5), welcher praxisorientierte Empfehlungen zu Problemen bei der neuen oralen Antikoagulanzien gibt, und über die Aussagekraft der Gerinnungstests informiert.
E- Antithrombotische Medikamente
Wir hatten bereits 2010 in einem ausführlichen Artikel über über das perioperative Management mit antithrombotischen Substanzen informiert (7). Auch über die antithrombotische Therapie für KHK-Patienten mit Koronarstents werden dort in der Rubrik "Vorgehen nach Wichtigkeit der Antithrombotischen Therapie für den Patient" erwähnt.
Der aktuelle NEJM-Artikel (1) informiert des Weiteren über das perioperative Management mit antithrombotischen Substanzen. Einige der wichtigen Aussagen darin sind:
- ASS: Low-Dose-ASS alleine steigert nicht signifikant das Risiko der klinisch bedeutsamen Blutungen nach invasiven Eingriffen. Falls doch Absetzen, sollte ASS 7-10 Tage vor dem Eingriff abgesetzt werden.
- Thrombozytenaggregationshemmer aus der Gruppe der Thienopyridine (Clopidogrel, Ticlopidin, Ticagrelor): Falls Absetzen sollte Clopidogrel und Ticagrelor 5 Tage und Ticlopidin 10-14 Tage vor dem Eingriff abgesetzt werden.
- Antithrombotische Therapie kann sobald Hämostase (Blutstillung) erfolgt ist, kann fortgesetzt werden. Meist innerhalb von 24 Stunden. Die Autoren mahnen zur Vorsicht bei der Einführung der Clopidogrel über Loading-Dosis und bei Prasugrel und Ticagrelor grundsätzlich, da diese ihre Wirkung sehr schnell entfalten.
*Nachtrag: Im Ärzteblatt ist in der Ausgabe 31-32/2013 ebenfalls ein interessanter Artikel zum Thema "Perioperativer Umgang mit Antikoagulanzien und Thrombozytenaggregationshemmern" erschienen (8)
2-Perioperatives Management bei oraler Antikoagulation, arznei-telegramm 5/2013
---Siehe auch arznei-telegramm-Artikel zum gleichen Thema vom 2004:
PERIOPERATIVES MANAGEMENT BEI ORALER ANTIKOAGULATION, 9/2004
4- Vorhofflimmern: Neue Antikoagulanzien oder doch Marcumar - Was Tun?, 2012
8- Risiko-Score für "Marcumar"-assoziierte Blutungen bei Patienten mit Vorhofflimmern, 2011